Interview: Pro Päckchen 50-mal mehr CO2
11.07.2024 | Presse
Peter Bergmann im Interview mit The Property Post.
Temu und Shein sind die beiden einzigen E-Commerce-Plattformen, die weltweit Marktanteile gewinnen. Bislang senden beide Player kleine Pakete Luftfracht nach Europa und in die USA. Eine miserable Klimabilanz und die Umgehung von Zollschranken gehören zu den negativen Begleiterscheinungen. THE PROPERTY POST interviewte dazu Peter Bergmann, Projektleiter bei ALCARO Invest.
The Property Post (TPP): Warum sollten sich nicht nur Logistiker mit den Plattformen Temu und Shein befassen?
Peter Bergmann (PB): Insgesamt sind die Umsätze im Online-Handel etwas gesunken, Temu und Shein hingegen sind deutlich gewachsen. Es ist das Hauptziel dieser Plattformen, Marktanteile zu erobern, auch auf Kosten der Rentabilität. Dies geschieht in hohem Tempo, und das Geschäftsmodell von Temu und Shein unterscheidet sich signifikant von bisher etablierten Plattformen wie Amazon.
TPP: Inwiefern?
PB: Temu „weiß“ schon im Vorhinein, welche Produkte die Verbraucher nachfragen werden. Das liegt an der engen Kooperation mit reichweitenstarken Influencern. Wenn diese Influencer Produkte empfehlen, ist in China die Produktion bereits passgenau angelaufen. Das Temu-Versprechen lautet auch nicht „Lieferung am nächsten Tag“, sondern „Produkte so günstig wie nirgendwo sonst“. Warenlager, weitere Ver- oder Bearbeitungsschritte oder Zwischenhändler werden überflüssig, sämtliche damit verbundene Vorhaltekosten entfallen. Das Konsumentenverhalten wird KI-gesteuert sehr genau erfasst, inklusive der regionalen Unterschiede. So bauen Temu und andere Plattformen ständig wachsende Datenbänke auf, mit denen Produktion und Vermarktung gesteuert werden können.
TPP: Wie gelangen bei Temu bestellte Artikel zum Kunden?
PB: Die Ware wird fertig verpackt mit großen Frachtmaschinen eingeflogen und vom Flughafen aus direkt zugestellt. Damit hebelt Temu alles aus, was stören könnte. Das Lieferkettengesetz muss nicht beachtet werden. Waren werden so kleinteilig verpackt, dass sie unterhalb der in der EU gültigen Zollschranken hindurchschlüpfen. Temu fliegt kleine Flughäfen mit wenig Zollpersonal an. Da täglich allein für Temu rund 50 Jumbo-Jets einfliegen, lässt sich leicht erahnen, dass eine Kontrolle nicht mehr geordnet stattfinden kann. Das geben Zollbehörden auch offen zu.
TPP: Das erscheint auch unter Klimaschutzaspekten sehr fragwürdig.
PB: Richtig, und das in eklatanter Weise. Der Transport per Luftfracht verursacht im Vergleich zum Seeweg eine 50 bis 70-mal höhere CO2-Last pro Artikel. Die sehr kleinteilige Verpackung schon in China führt zu gewaltigen Mengen an Verpackungsmüll. Zumal es sich bei den Artikeln selbst oft um „Super Fast Fashion“ handelt, um Dinge, die morgen schon auf irgendeiner Altkleiderhalle irgendwo auf der Welt landen. Aber auch volkswirtschaftlich entsteht großer Schaden, weil anders als bei der herkömmlichen Logistik keinerlei Wertschöpfung in den Empfängerländern stattfindet. Daher sollten die Verbraucher stärker aufgeklärt werden, insbesondere hinsichtlich der schlechten Klimabilanz von Temu und anderen Plattformen. Mit ihrem Kaufverhalten können Verbraucher dazu beitragen, die nationalen und EU-weiten Klimaziele zu entspannen.